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Die Nester der Pinienprozessionsspinner hoch in den Baumkronen in Südtirol
30. Mrz 2023 - 4 min Lesezeit

Prozessionsspinner: Feine Haare, heftige Reaktion 

Von Ausschlag und Juckreiz bis hin zu allergischen Reaktionen: Bereits bei der kleinsten Berührung mit Prozessionsspinnern kann es zu heftigen Symptomen kommen. Vor allem Reisende nach Italien sollten vorsichtig sein.

Wer Richtung Süden auf der Brennerautobahn die Augen aufhält, sieht ihre faustgroßen, hoch in den Baumkronen gesponnenen Nester schon von Weitem: Hier nisten die Prozessionsspinner, deren Brennhaare für Mensch und Tier unangenehm und gefährlich sein können. Besonders Klettererinnen und Kletterer, die es über die Osterfeiertage nach Südtirol oder in Richtung Gardasee zieht, sollten derzeit aufpassen: Laut der Südtiroler Land- und Forstwirtschaft sind heuer besonders viele Prozessionsspinner unterwegs. „Zurückzuführen ist die starke Vermehrung auf einen milden Winterverlauf, zugleich war die Ausgangspopulation nach dem hohen Vermehrungserfolg vom letzten Jahr sehr hoch“, sagt der Südtiroler Forstwirt Alessandro Andriolo. 

Kopf an Kopf: Zur Nahrungssuche oder zum Verpuppen kriechen die Prozessionsspinner in bis zu zehn Meter langen Schlangen. (Foto: Lucas Van Oort, Unsplash)
Zum Verpuppen oder zur Nahrungssuche kriechen die Raupen in einer langen Prozession am Boden oder Baum entlang. (Foto: Lucas Van Oort, Unsplash)

Ganz generell gehören die Prozessionsspinner zu den Zahnspinnern – eine Familie der Schmetterlinge (Nachtfalter). In Österreich und Deutschland sind vor allem Eichenprozessionsspinner (Thaumetopoea processionea) vorzufinden: Im Spätsommer legen sie ihre hundert bis zweihundert Eier im Kronenbereich von Eichenbäumen, die Raupen schlüpfen. Ab der ersten Aprilwoche und bewegen sich dann zum Fressen zu aufbrechenden Knospen.

Die etwas größeren, vier bis fünf Zentimeter langen Pinienprozessionsspinner-Raupen (Thaumetopoea pityocampa) ernähren sich hingegen hauptsächlich von Kiefernarten und sind aufgrund der bevorzugten Wirtsbaumart im Mittelmeerraum vertreten – die nördliche Grenze macht die Brixner Gegend aus. „Die Larven dieser Art entwickeln sich in den Baumkronen von Kiefern in den Wintermonaten, sonst weisen sie aber ähnliches Verhalten auf“, so Alessandro Andriolo. Der dritte im Bunde, der Kieferprozessionsspinner (Thaumetopoea pinivora), ist wiederrum kaum im Alpenraum anzutreffen – er ist im vom Süden Schwedens und Finnlands über Dänemark bis in den Nordosten Deutschlands heimisch. 

Feine Haare, heftige Reaktion 

Was alle gemein haben: giftige Raupenhaare, die bei Berührung Juckreiz, Augen- und Schleimhautentzündungen oder Fieber auslösen können. „Nach der zweiten Häutung besitzen die Raupen sehr leichte, beidseitige gespitzte Brennhaare“, erklärt Alessandro Andriolo. Im letzten Entwicklungsstadium kann eine Raupe rund 700.000 solcher mit Widerhaken versehenen Härchen haben. „Das enthaltene Protein, das schädliche Thaumetopoein, wirkt dabei reizend für Haut und Schleimhäute. Bei empfindlichen Personen kann der Kontakt auch schwere Auswirkungen haben.“

Aber nicht nur der direkte Kontakt mit den Raupen, kann zu Hautrötungen oder den typischen, juckenden Quaddeln führen – die Härchen können ebenso über die Luft übertragen werden, an windigen Tagen sogar bis zu 50 Meter weit. Die allermeisten Symptome und Reizungen vergehen mit etwas Geduld innerhalb von ein bis zwei Wochen. Treten schwere Symptome oder allergische Schockreaktionen auf, muss ein Arzt kontaktiert werden. Außerdem sollte man sofort die Kleidung wechseln, weil sich die kleinen Widerhaken-Härchen im Material festsetzen. Verunreinigte Kleidung demnach nur verpackt ins Haus bringen und direkt bei 60 Grad Celsius waschen, um das Nesselgift zu vernichten. 

„Das enthaltene Protein, das schädliche Thaumetopoein, wirkt dabei reizend für Haut und Schleimhäute. Bei empfindlichen Personen kann der Kontakt auch schwere Auswirkungen haben.“

Alessandro Andriolo

Wer also in den nächsten Wochen im Süden Urlaub macht, sollte beim Zustieg zum Felsen sowie in manchen Klettergebieten aufpassen. Hat der Pinienprozessionsspinner nichts mehr zu fressen (Übersiedlung) oder will sich verpuppen, verlässt er die Baumkrone: Kopf an Kopf – wie in einer langen Prozession – kriechen die Raupen aneinandergereiht in bis zu zehn Meter langen Schlangen am Boden entlang. Besonders gefährdet sind Hunde, die mit ihrer Nase nur wenige Zentimeter vom Boden entfernt sind und so an teils schweren Vergiftungen der Schnauze leiden können. Alessandro Andriolo empfiehlt, Hunde vom Winterende bis ins Frühjahr hinein an der Leine zu halten. 

In den bayerischen Voralpen ist die Wahrscheinlichkeit beim Klettern mit den Raupen in Kontakt zu kommen hingegen vergleichsweise gering: „Der in Bayern vorzufindende Eichenprozessionsspinner ist fast ausschließlich an Eichenarten zu finden“, erklärt der Waldschutz-Experte Dr. Andreas Hahn von der Bayerischen Landesanstalt für Wald und Forstwirtschaft. „Zudem gibt es im alpinen Raum keine Eichenwälder. In Franken oder im bayerischen Jura mag es anders aussehen: Dort gibt es Eichen und auch Eichenprozessionsspinner.“ Die Brennhaare befinden sich auf den älteren Raupen, bleiben nach der Verpuppung aber auch in den Gespinstnestern. Von dort können sie über mehrere Jahre ihre Wirkung „entfalten“. Daher gibt es in den Befallshotspots keine Jahreszeit ohne die Eichenprozessionsspinner-Thematik. 

Auch in den Nestern der Prozessionsspinners befinden sich die giftigen Brennhaare (Foto: Abteilung Land- und Forstwirtschaft Südtirol)
Auch in den Nestern der Prozessionsspinner befinden sich die giftigen Brennhaare. (Foto: Abteilung Land- und Forstwirtschaft Südtirol)

Eindämmungsmaßnahmen des Prozessionsspinners werden nur punktuell vorgenommen – und diese zumeist im Rahmen des Gesundheitsschutzes. Bekämpfungen aus Gründen des Waldschutzes, zum Beispiel wenn die Baumbestände durch Kahlfraß existenziell gefährdet sind, können durch den Einsatz von Pflanzenschutzmitteln erfolgen, aber auch dies passiert eher selten.

„Bis vor drei Jahren war die Bekämpfung in Südtirol per Gesetz Pflicht, jetzt wurde die Norm abgeschafft“, erklärt Alessandro Andriolo. Wobei man die Prozessionsspinner ohnehin nur hatte eindämmen können: „Die Prozessionsspinner können als Puppen neun Jahre lang im Bodenstreu bleiben und dann ausschlupfen“, so Alessandro Andriolo. Eine Gefahr für die Bäume selbst stellen die Prozessionsspinner nur in seltenen Fällen dar – und mit etwas Aufmerksamkeit, Vorsicht und dem Meiden von bestimmten Gebieten sollte auch für Mensch und Tier die Gefahr überschaubar bleiben.